Tourenbericht Leichte Hochtour Ramolkogel 17.-18.8.2019

Sommer, Sonne, Softeis auf den Ramolkogeln

Neun fitte Tourengeher des DAV Überlingen machen sich am Samstag, den 17. August 2019, um 6 Uhr ins Ötztal auf. Es waren unter der Leitung des bewährten Reinhard Stracke: Bruno, Ehrenfried, Henning, Marion, Martin, Paula, Renate und Robert. Ziel ist der nördliche Gipfel des Ramolkogel (auch Anich-Spitze, 3428 m).

Die Route führt über Lindau und die österreichische Autobahn nach Imst, kurz darauf biegen wir ins Ötztal ab: Ötz, Längenfeld, Sölden, Zwieselstein (hier links abbiegen, nicht nach rechts in Richtung Vent,) nach Obergurgl.

Obergurgl ist gekennzeichnet von vielen großen Baustellen – der Ort rüstet mächtig auf mit großen Hotel- und Apartment-Anlagen für den gehobenen Schitourismus. Am Ortsende (1920 m) parken wir in der Tiefgarage des Hotel Edelweiß. Dies ist erlaubt, da wir Übernachtungsgäste des Ramolhauses sind und dort auch die Materialseilbahn bestellt haben, die unsere mit dem üblichen Bergsteiger-Eisen gefüllten Rucksäcke zum Ramolhaus (3006 m) befördern wird.

Nach einem motivierenden Kaffee in der Pizzeria PicNic stehen uns ab 10:00 Uhr vier Stunden Anstieg mit knapp 1100 m bevor. Vom Ortsende Parkplatz und über einen Fahrweg zweigt der Pfad zur Hütte über eine moderne Brücke rechts ab. (Wegmarkierung immer Rot-Weiß, Wegenummer 12).

Man steigt zunächst durch Latschen und kleine Bäume hoch auf eine Kuhweide und erreicht alsbald einen urigen, von einer Firma gestifteten Brunnen. Zwischendurch zweigen Wege ab und man tut grundsätzlich gut daran, immer die rechte Variante zu wählen. Der Aufstieg wird wortwörtlich durch Heidelbeeren versüßt.

Der etwas über sechs Kilometer lange Pfad entwickelt sich bei sehr mäßiger Steigung zu einem herrlichen Panoramaweg mit grandiosem Blick über die Abgründe links in die Fels- und Eiswelt des Hinteren Gurgler Tals im Osten und Süden. Der Weg ist gut gepflegt und abgesehen von wenigen engen und steilen Stellen über glatte Felsplatten ist er auch für weniger geübte Bergwanderer machbar. Regelmäßig überqueren wir Sturzbäche; vor allem der im mittleren Teil des Anstiegs (2500 m), bei dem ein sehr steiler Pfad in Richtung Piccard-Brücke in die Schlucht links unter uns abzweigt, flößt der Bach Respekt ein (dieser entwässert das Putzachkar). Hier führen oben erbärmliche Planken über Kiesel und das reißende Wasser, deshalb nutzt man besser den neu angelegten Steg etwas unterhalb. Eine idyllische Rast kann man z.B. im Bereich „ Im Küppele“ ca. 2300 m einlegen, einer noch bewohnten Schäferhütte.

Bald nach der Abzweigung zur Piccard-Brücke bemerkt man steil rechts oben, wie ein Adlerhorst, das Ramolhaus. Man denkt, man habe es nun bald geschafft, doch es dauert noch ein gutes Stück, bis man, nun recht steil ansteigend, in einer Kehre zurück das Ramolhaus angeht, das wir 14:30 Uhr erreichen. Glücklicherweise ist der Himmel den ganzen Tag von hohen Wolken bedeckt, sodass die Temperaturen zum Bergwandern sehr angenehm, die Sichtverhältnisse aber nicht beeinträchtigt sind. Erwähnenswert ist noch, dass wir ca. eine Stunde vor Ankunft fast schon über ein Schneehuhnküken stolpern, das etwas desorientiert und kläglich fiepend direkt auf dem Wanderweg herumhüpft.

Der Rundblick von der Terrasse des Ramolhauses ist einfach überwältigend. Es ist ein weites Gletscherhalbrund das links mit dem Granatkogel über Obergurgel beginnt, dann östlich mit den Gletscherfeldern der drei Seelenklogel 3426m herüber leuchtet und weiter über die südöstliche Ecke der Ötztaler Alpen – der Hohen Wilde 3482m – den südlichen Abschluss des Gurgler Ferner bildet.  Weiter rechts davon schließen sich, Falschungg Spitze 3363m und Karlesspitze an. Ganz in der Nähe, rechts über uns, lädt dann das zarte Eisdreieck der Schalfkogel (3540 m) zum Besteigen ein, doch dazu hätten wir wohl zwei Hüttennächte mehr gebraucht.

Direkt unter uns der Abgrund des Gurgler Tals mit der Neuen Karlsruher Hütte (Langtaleregghaus) auf dem Gegenhang. Der Langtalerferner (links = östlicher) wird durch den Schwärzenkamm vom viel mächtigeren Gurgler Ferner getrennt. Ich habe beim Schreiben dieser Zeilen eine Landkarte von 1949/65 vorliegen, und die zeigt eindeutig, dass sich der Gurglerferner mittlerweile doch einige hundert Meter nach Süden zurückgezogen hat.

Aber die Hütte lohnt sich nicht nur wegen den phantastischen Aussichten. Martin, der tschechische Hüttenwirt, entwickelt ein unglaubliches Tempo, um uns mit Getränken und abends 18:00 Uhr mit einem leckeren Menü zu versorgen.

Bis alle eingecheckt und sich gestärkt haben, ist es fast 16:00 Uhr geworden. Bruno, Marion, Renate und ich verlassen die Hütte für knapp zwei Stunden in nördlicher Richtung, um etwas die morgige Tour zu erkunden. Zuerst geht es direkt nach der Hütte in nördlicher Richtung über eine Schrofennase, von der man ein Stückchen in ein Kar absteigen muss, das unten und an der Sohle noch von Schneefeldern gesäumt ist – dem kläglichen Rest des Ramolferners. Bei einem mächtigen Steinmann genießen wir nochmals bei einer kurzen Rast den phantastischen Ausblick nach Osten und Süden. In westliche Richtung versperrt uns eine mächtige, namenlose Mauer in den Farben gelb, ocker und braun die Sicht – es ist der Grat bzw. Südausläufer des Mittleren Ramolkogel (3520 m).

Wir wenden uns bald wieder zurück, um das leckere Abendessen nicht zu verpassen. Den Rest des Abends verbringen wir feuchtfröhlich bei angeregten Gesprächen über vergangene Hochtouren oder auch Politik.

Am Sonntag, den 19. August 2019, herrscht nach kalter und zugiger Nacht Sommer, Sonne, Kaiserwetter. Zauberhafter Sonnenaufgang über den Stubaier Alpen ca. 5:30 Uhr, als ich wegen des Getränkerecyclings vom Vorabend mit leichtem Kopfweh (kein Wunder bei der Höhe! Auch hat jemand wegen der Kälte das Fenster des Matratzenlagers geschlossen! Was für ein Mief!) aus dem Bett muss.

Um 6 Uhr wird gefrühstückt, und fast auf den Punkt genau 7 Uhr starten wir auf dem gleichen Weg wie gestern Abend. Es war schnell klar, dass von dem ehemaligen Ramolferner leider nur noch zwei inzwischen von einander getrennte Schnee- und Eislappen übrig geblieben sind. Spaltenlose Schneeflanken und Felsblock-Moränen stellten den Aufstieg dar, so dass auf Gurte und Seile verzichtet werden konnte.

Ich mache mir Sorgen, dass eine Kalte Nacht hartgefrorene Schneefelder zur Folge haben könnten, die ohne Steigeisen nicht mehr zu begehen sind. Es stellt sich aber heraus, dass die Schneefelder hart genug sind um nicht einzubrechen, aber etwas angetaut, sodass man komfortabel seine Schuhe trittsicher einrammen kann. Mit Stöcken kommt man also prima voran. Links neben uns leuchtet rostig-warm der erwähnte Südgrat des Mittleren Ramolkogel. Rechts (also östlich) und südöstlich, Richtung Stubaier Alpen bzw. Dolomiten, drängen sich Wolken in den Tälern, über denen erhabene Gipfel leuchten.

Der (ehemalige) Ramolferner besteht jetzt aus zwei Stufen. Wo diese in feinspaltigen Gletscherzungen auslaufen, ist der Ferner ausgeapertes Blankeis, doch gibt es jeweils am äußersten rechten Rand die Alternative, durch Schnee in beschriebener Manier aufzusteigen. Manche unserer Truppe ziehen es nun doch vor, ihre Steigeisen anzulegen, doch mit konzentriertem Tritt kommt man ohne Ausrutscher gut voran. Sobald die zweite, obere Stufe des Ferners solchermaßen gemeistert ist, geht es unterhalb (also südlich) der Anich-Spitze fast eben in westlicher Richtung über den Ferner voran. Unser Ziel ist eine kleine, enge Scharte auf ca. 3350m zwischen mittleren und nördlichem Ramolkogel, unserem heutigem Ziel.

Was uns imponiert, ist der mächtige Abgrund, der sich hier unter uns auftut. Als wir über den Blockgrat in fast genau östlicher Richtung aufsteigen bzw. auf klettern, wird dem einen oder der anderen schon etwas bange zumute, zumal eine Art „Schlüsselstelle“ viel Geschiebe, aber wenige Griffe aufzuweisen hat. Vorsicht ist geboten, der/ dem Nachsteigenden keine Steinlawine aufs Hirn zu treten! Reinhard, Bruno und Ehrenfried übernehmen hier Verantwortung und erkunden die besten Griffe bzw. Passagen.

So kommen wir alle wohlbehalten auf dem Gipfel an. Das schon weit von unten sichtbare Gipfelkreuz besteht aus einer breiten modernen Alu-Konstruktion, wobei in die Mitte eine Weltkugel eingearbeitet ist. In den blanken Behälter für das Gipfelbuch ist nicht nur die Gipfelhöhe eingraviert, sondern auch die Erinnerung an einen Bauern Peter Anich (1723-1766), der sich auch als Kartograf hervortat.

Die Rundsicht morgens kurz vor 10 Uhr ist einfach überwältigend. Im Osten die schwarz-weißen Zacken der Stubaier Alpen, im Südosten die Dolomiten mit dem breit gezogenen Rechteck der Sellagruppe, dem Langkofel und der Marmolada mit dem leuchtenden Gletscher. Südöstlich die nahe Langtalerjochspitze (3157 m). Herausfordernd, aber machbar blinkt das Dreieck des Schalfkogel mit seinen Schneefeldern. Im Südwesten droht furchterregend die schmale Mauer mit der kleinen Doppelspitze in der Mitte, die Hintere Schwärze (3628 m). Die Gespräche am Gipfelkreuz drehen sich unter anderem um diese Herausforderung, die mehrere in unserer Gruppe vor wenigen Jahren gemeinsam gemeistert haben. Rechts davon hebt sich die sanft ansteigende Schneerampe ab, die zum Similaungipfel (3606 m) führt. Der Blick nach Westen ist durch den Mittelgipfel des Ramolkogels versperrt, jedoch rechts davon entschädigt die grandiose Ostwand der Wildspitze, die ein Gletscherkar umschließt.

Uns lichtet ein sehr freundliches österreichisches Paar ab – ich wollte den Mann schon für die weiteren Touren als Hoffotografen engagieren. Bei bester Stimmung nehmen wir unser Vesper ein.

Etwas sorgenvoller werden wir kurzfristig beim Gedanken an den Abstieg – doch, oh Wunder, das prächtige Wetter und die herrliche Rundsicht fördern unser Selbstvertrauen und wir steigen ebenso schnell wie konzentriert in die Scharte ab, in der wir unsere Pickel und Steigeisen zurückgelassen haben.

Ins Schwitzen bringt uns nun nicht mehr die bergsteigerische Herausforderung, sondern die zunehmend heiße Sonne. Schnee und Eis des Ramolferners sind zu Softeis geworden, auf dem wir je nach Lust und Laune absteigen oder niedergleiten. So zerteilt sich unsere Gruppe etwas. Die einen wählen für den Abstieg die Schneerinnen des Ramolferners, die anderen das Blockwerk der Moräne links davon, um den beeindruckenden Blick hinab ins Gurgler Tals zu genießen. Hier, unterhalb von ca. 3200 m, fallen uns auch die niedlichen kleinen Büschel von Bergmargeriten auf.

Ca. 12:30 Uhr sind wir alle wieder im Ramolhaus versammelt. Da unsere Tour aufgrund zunehmender Wärme doch recht schweißtreibend war, fließen Radler-Halb, Johannisbeerschorle und Buttermilch (!) in Strömen. Wir sind alle bester Stimmung. Wir haben vereinbart, den gleichen Panoramaweg zurückzuwandern. Eine Alternative wäre gewesen, auf halbem Weg steil nach links zur Piccard-Brücke in die beeindruckende Schlucht abzusteigen (deren Bach den Gurgler- und Langtalergletscher entwässert), doch will uns der anschließende Aufstieg am Gegenhang und das anschließende Wandern auf einem schattenlosen Fahrweg nicht so recht motivieren.

Ca. 13:30 vertrauen wir unsere Bergsteiger-Handwerkszeug wieder dem Materiallift an und wandern mit Leichtgepäck talwärts. Ein feuchtwarmes Lüftchen beginnt zu wehen, und von Italien, später von Westen her ziehen mehr und mehr Wattewolken auf. Ich wette, es wird nachts noch Gewitter geben. Beim Abstieg haben die Wassermassen der Sturzbäche im Vergleich zum Vortag deutlich zugelegt. Ihr ohrenbetäubendes Brausen teilt uns eindrucksvoll mit, dass in der heißen Nachmittagssonne, nicht nur wir, sondern auch die Gletscher und Schneefelder am Ramolkogel heftig schwitzen müssen – das Softeis zerfließt endgültig. (Als wir abends ca. 18:00 Uhr in Obergurgl zurückfahren, zeigt das Autothermometer auf 1800 bis 1900 m stellenweise immer noch 25 Grad an!). Wir teilen uns wieder in kleine Gruppen auf; ich raste eine Zeit mit Paula und Renate unterhalb der Abzweigung zur Piccard-Brücke. Das letzte Drittel wandere ich ganz alleine und pausiere nochmals am „Im Küppele“.

So kommen wir nach heute insgesamt ca. 1600 m Abstieg nach und nach recht müde in Obergurgl an. Gesalzene Getränkepreise sollen dafür sorgen, dass wir die verloren gegangenen Elektrolyte wieder aufnehmen … Da sehnen wir, die neun fitten Junggebliebenen, uns doch wieder zum Ramolhaus bzw. zu Sommer, Sonne und Softeis zurück, anstatt uns zu ärgern.

Ein abschließendes Dankeschön auch an Ehrenfried und Renate, die unser DAV-Vehikel ruhig und souverän nach Überlingen zurück steuern.

Autor: Dr. Martin Zürn

Karten:

Ötztaler Alpen/ Blatt 30/1 (Gurgl), herausgegeben vom Deutschen Alpenverein, Stand 2015; LINK

Ötztaler Alpen/ Blatt Gurgl, herausgegeben vom Hauptausschuss des Alpenvereins 1949/ Nachträge 1955/ Berichtigungen 1965

►Beide Karten mit Maßstab 1:25.000